Mal ehrlich, wer hält ihn ein, diesen Spritz-Ess-Abstand, kurz SEA?
Ich muss zugeben, ich habe ihn lange Zeit ignoriert. Wenn ich Hunger hatte, habe ich gemessen, gespritzt und gegessen! Manchmal sogar anderes herum. Also erst gegessen, dann gespritzt. Gerade die schnell wirkenden Insuline, die heute auf dem Markt sind, machen dies (bedingt) möglich. Wenn ich da an meine Anfänge vor über 20 Jahren mit Velasulin H denke…ein Abstand zwischen Spritzen und Essen war damals ein Muss. Eine halbe Stunde musste man immer einplanen.
Moderne Analog-Insuline (Insulin Lispro, Insulin Aspartat) wie zum Beispiel Humalog oder Novo Rapid lassen da mehr Freiheit. Der Wirkeintritt beginnt bereits nach wenigen Minuten. Gerade bei Kindern ist dies eine großer Vorteil, denn das Insulin kann so zum Beispiel sofort nach dem Essen gespritzt werden, wenn der Teller auch wirklich leer ist.
Wie oft habe ich damals vorab für meine X BE gespritzt, mit dem Essen begonnen und dann den Teller doch nicht leer bekommen. Doof gelaufen, Insulin intus aber keinen Bock mehr auf Kohlenhydrate…hallo Hypo!
Oft wird behauptet, ein SEA wäre heute nicht mehr nötig. Das habe ich auch lange geglaubt. Dass ich aber doch einen brauche, und vielleicht sogar jeder (?), habe ich erst gemerkt seit ich ein CGM trage. Denn wie schnell der BZ postprandial ansteigt, war mir nie wirklich bewusst.
Also habe ich angefangen zu prüfen, wie sich das Verhalten des Blutzuckers ändert, wenn ich verschiedene Spritzabstände vor dem Essen einhalte. Für mich hat sich eine „Wartezeit“ von knapp einer viertel Stunde als optimal erwiesen (bei „normalem“ Ausgangs BZ). Halte ich diese ein, erreicht der Blutzucker nach dem Essen selten einen Wert außerhalb meines Grenzbereichs. In Zahlen: es geht nur selten über 150mg/dl hinaus.
Zwar gibt es diverse Studien, die besagen ein Spritz-Ess-Abstand sei mit unseren „Turbo“-Insulinen nicht mehr nötig, ich persönlich denke aber das kann man nicht pauschalisieren.
Schließlich spielen da auch noch ein paar mehr Faktoren eine Rolle. Ausgangsblutzucker, Art der Kohlenhydrate, Spritzstelle, glykämischer Index, Fett und Eiweißgehalt der Nahrung, wie weit die Nahrung nach dem kauen gespalten werden muss (Apfel-Apfelmus-Apfelsaft)…
Eine reife Banane geht schnell ins Blut, schmier Butter drauf und der BZ-Anstieg lässt auf sich warten. Man (Diabetiker) muss halt ein wenig probieren, um zu erfahren wie sich der Blutzucker in bestimmten Situationen verhält. Trial and Error eben.
Übrigens ist der schnelle Anstieg des Blutzuckers direkt nach dem Essen nicht nur auf die in der Nahrung enthaltenen Kohlenhydrate zurück zu führen. Denn wenn ich damals in den Schulungen richtig aufgepasst habe, hat der rasante Anstieg irgendwas mit der Glucose-Ausschüttung aus der Leber zu tun, die bereits dann beginnt wenn der Kohlenhydrate noch gar nicht ihr „Ziel“ erreicht haben. Ich krieg das allerdings gerade nicht mehr genau auf die Kette…